Tag der Wissenschaftsgeschichte des AKWG der RWTH Aachen
Wissenskulturen
Bedingungen wissenschaftlicher Innovation
Der nächste Tag der Wissenschaftsgeschichte des AKWG der RWTH Aachen findet am 28./29. Oktober 2010 statt. Er wird vom Historischen Institut ausgerichtet und thematisiert eine der zur Zeit wichtigsten Fragen der Wissenschaftsorganisation und -politik: Wie entsteht wissenschaftliche Innovation? Dem Selbstverständnis des AKWG entsprechend, nach dem wir Wissenschaftsgeschichte in einem weiteren Sinne – und eben nicht als bloße Geschichte der wissenschaftlichen Disziplinen – begreifen, interessieren uns die gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen und Formen wissenschaftlicher Innovation. Die Tagung bietet mithin ein Forum für eine historisch informierte Auseinandersetzung über eines der ureigensten Themen der Wissenschaft; sie ermöglicht – und erfordert zugleich – die Begegnung ganz unterschiedlicher Fachkulturen.
Wir haben drei Ideenfelder abgesteckt, auf denen sich die Diskussion abspielen soll:
1. Fachlogiken und Institutionen
2. Habitus der Wissenschaftler
3. Internationaler Vergleich
1. Fachlogiken und Institutionen – drei Logiken der Wissensinnovation
1. Wissensinnovation in kreativen Milieus
Diese Deutung verweist auf Wissen als Ergebnis von Kommunikationsverdichtungen, auf die Bedeutung „herrschaftsfreier“ kommunikativer „Marktplätze“ (die antiken Foren), das gemeinsame Nachdenken und die arbeitsteilige, z.T. interdisziplinäre Problemlösung (Großforschungseinrichtungen vs. Individuum am Schreibtisch).
2. Wissensinnovation als Resultat der inneren Fachlogik und medialen Wandels
Jede wissenschaftliche Disziplin ist so aufgestellt, dass sie den Wissensprozess vorantreibt. Dabei sind zumindest drei verschiedene Logiken zu unterscheiden:
a) Die textbasierten Wissenschaften (Philosophie, Mathematik, Architektur…) , bei denen es im wesentlichen auf die Problemeingrenzung, das eigene Gedächtnis, die Muße zum Nach-denken und den intensiven Diskurs ankommt.
b) Die quellenbasierten Wissenschaften (Geschichte, Wirtschafts- und Literaturwissen-schaften…), die umfangreicher Bibliotheken bedürfen, die Herkunft ihrer Materialien nachwei-sen müssen und die ihren Informationswert vor allem durch die Verwendung neuer Doku-mente und neuer Lesarten erhalten.
c) Die Labor- und Feldwissenschaften, die ihre Daten selbst erzeugen, außerhalb ihrer jeweiligen Arbeitsumgebungen kein Forschen ermöglichen und auf „Informationsgewinnungs- und -verarbeitungsapparate“ angewiesen sind.
3. Wissenschaftliche Innovation als Resultat sozialer Aushandlungsprozesse
Dabei geht es um die Herstellung von Reputation, um Disziplinbildung und Abgrenzung von anderen wissenschaftlichen Zugängen. Solchen Innovationsprozessen ist immer etwas Dra-matisches zu eigen. Sie verlaufen prozesshaft, beruhen vielfach auf Bündnisbildung außerhalb des Wissenschaftssystems, enden in einer Ausdifferenzierung der Wissenschaften und eta-blieren vielfach ein neues „Paradigma“.
2. Habitus
Selbst- und Fremdwahrnehmung der Wissenschaftler/-innen führen den Betrachter zur Ebene der (bewussten oder unbewussten) Identifikation mit der jeweils eigenen Fachkultur und damit zugleich zur Differenzierung von anderen. Nicht nur wissenschaftliche Prinzipien, sondern auch (typische?) Verhaltensformen münden in die Distinktion einzelner Wissenschaftsbereiche und in einer engeren begrifflichen Fassung von „Kultur“ auch zu einer Form von Wissen-schaftskulturen (im Plural!); gemeint sind spezifische Verhaltensweisen und Selbststilisierun-gen, die etwa den Geisteswissenschaftler vom Naturwissenschaftler oder vom Ingenieur unterscheiden – und das nicht nur am Arbeitsplatz. Solche habituellen Verortungen dürften manchem interdisziplinären Vorhaben nicht in geringerem Maße im Wege stehen als unter-schiedliche Arbeitsmethodiken.
Es ist eine wichtige historische Frage, wann diese unterschiedlichen Formen von Wissenskul-turen sich herausbildeten, wann ein universales Bild des Gelehrten vom Disziplingelehrten abgelöst wurde, wann sich der Geisteswissenschaftler vom Naturwissenschaftler, Mediziner und Ingenieur schied und welche Bedeutung solchen habituellen Distinktionen bei der Ausdif-ferenzierung der Disziplinen zukommt. Mindestens ebenso aufschlussreich aber wäre es zu überprüfen, ob es über die Fächergrenzen hinweg so etwas wie gemeingültige Projektionen von Wissenschaft und Gelehrsamkeit gibt, die sich von den Vorsokratikern bis zur Entdeckung der DNA-Struktur verfolgen lassen.
3. Internationaler Vergleich
Einen vergleichenden Einblick in verschiedene Wissenskulturen zu geben, bedeutet den jeweiligen Ursprung zu erkunden, Ziele und Forschungsgegenstände zu analysieren sowie Personen und „Schulen“ vorzustellen, die den wissenschaftlichen Diskurs mitbestimmen. Dies kann anhand der Leitfrage geschehen, ob überhaupt in länderspezifischer Betrachtung so etwas wie eine „Einheit der Wissenskulturen“ existierte, wie sich das Verhältnis der gängigen größeren Wissenschaftsbereiche zueinander entwickelt und wie stark man sich an der Zielvor-stellung, Innovationen zu erreichen, ausrichtet. Dabei liegt eine Orientierung an folgenden Themenkomplexen nahe:
1. Die theoretische Erfassung des Wissens
Zu fragen ist hier nach der Art und Weise, wie in verschiedenen Ländern Europas und in den USA erkenntnistheoretische Probleme gewichtet und an Universitäten operationalisiert worden sind, wie somit generell mit den Fragen umgegangen wird, wie Wissen zustande kommt, welche Erkenntnisprozesse wichtig sind und wie man Wissen identifizieren und sichern kann.
2. Die Organisation wissenschaftlichen Arbeitens
Hier steht die Frage im Vordergrund, welche Techniken, Medien und Ordnungssysteme in wissenschaftlichen Prozessen zur Anwendung kommen.
3. Die Institutionen der Wissenschaft, der Wissenschaftspolitik und der Wissensvermittlung
In historischer und kulturvergleichender Perspektive ist danach zu fragen, welche Bedeutung den jeweiligen politischen, religiösen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Wissenschaftspolitik und die Organisation von Wissenschaft zukommt.
4. Formen des Einsatzes und des Gebrauchs von Wissen in Gesellschaften
Generell geht es dabei um den Funktionszusammenhang zwischen Wissen und Gesellschaft und die Frage, wie sich Wandel des Wissens auf den Wandel der jeweiligen Gesellschaft auswirken kann.
Aachen, im April 2010
Prof. Dr. Klaus Freitag, Prof. Dr. Armin Heinen,
Prof. Dr. Harald Müller, Prof. Dr. Christine Roll
Call for Papers: Wissenskulturen – Bedingungen wissenschaftlicher Innovation
Bericht 2010: Wissenskulturen – Bedingungen wissenschaftlicher Innovation