3. AKWG-Tag der Wissenschaftsgeschichte [2009]

Call for Papers: Sport, Wissenschaft und Technik (Walter Kaiser, Lehrstuhl für Geschichte der Technik, RWTH Aachen)

Außerhalb der Sportgeschichte gehört der Sport zurzeit noch nicht zu den bevorzugten Gegenständen der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Mehr noch: Große historische Epochen scheinen auf den ersten Blick kaum Ansatzpunkte zu bieten. Allenfalls die Ritterturniere des Mittelalters oder Volksvergnügen, wie das Eislaufen in der frühen Neuzeit, kommen in die Nähe des modernen Sports. Sicherlich böte die Geschichte der olympischen Spiele eine äußerst reizvolle Klammer weit entfernter historischer Epochen. Der politisch-historische Aspekt sollte jedenfalls unbedingt zu den Grundelementen einer wissenschafts- und technikgeschichtlichen Tagung zum Thema „Sport, Wissenschaft und Technik“ gehören. An dieser Stelle wären auch Verdrängungsprozesse zu diskutieren. Im Zuge der fortschreitenden Technisierung des modernen Sports verschwanden ganze Nationen aus den Startlisten, da sie hoch technisierte Sportarten auf internationalem Niveau nicht mehr finanzieren konnten. Außerdem wäre mit Blick auf die politische Dimension auf den Kalten Krieg zu verweisen, der zweifellos Technisierungsschübe und somit einen eigenen Rüstungswettlauf im Sport erlebt hat. Insbesondere könnte hier auch die institutionelle Seite erfasst werden. So wäre es reizvoll, die Rolle der Vereine, Verbände und der Sporthochschulen bei der fortschreitenden Technisierung des Sports zu untersuchen.

Während der Sport aus der Sicht der Allgemeingeschichte möglicherweise marginal erscheinen mag, ist es bemerkenswert, dass auch Wissenschafts- und Technikgeschichte sich mit dem Phänomen „Sport, Wissenschaft und Technik“ bislang wenig auseinandergesetzt haben. Und dies, obwohl sich der Sport vor allem im 20. Jahrhundert zu einem hochgradig technisierten und verwissenschaftlichten Feld menschlichen Handelns entwickelt hat. Unverkennbar ist zudem die wachsende wirtschaftliche Bedeutung.

Besonders augenfällig sind dabei die massiven Umbrüche bei den Materialien der Sportgeräte. Vergleichbar der Revolution im Flugzeugbau wurden auf breiter Front Holz, Leder und Naturfasergewebe durch Kunststoffe, faserverstärkte Kunststoffe sowie Kunstfasergewebe verdrängt. Die neuen Materialien erlaubten wiederum leichte und hochfeste Strukturen wie Honeycomb und Sandwichbauweise. Solche komplexe Kompositstrukturen, die auch leichtes Hochleistungsmetall einschließen, beherrschen heute die Szene im Skibau, bei Tennisschlägern, im Stabhochsprung, bei Booten und Segelflugzeugen. Die Sportartikelherstellung entwickelte sich in vielen Fällen gleichzeitig vom Handwerksbetrieb zu fabrikmäßigen Herstellungsverfahren und zur Massenproduktion (etwa bei der Skiherstellung).

Allerdings sollte der Tag der Wissenschaftsgeschichte nicht bei diesen Umbrüchen in den Materialien verharren. So ist vor allem zu fragen, wie die Materialien neue Formen bei den Sportgeräten ermöglichten, wie die neuen Materialien und Geometrien einen Wandel in den Bewegungsabläufen provoziert haben, die Leistungsgrenzen massiv verschoben, ungeahnte Schwierigkeitsgrade erschlossen und – begleitet von wachsender Risikobereitschaft – regelrechte Extremsportarten hervorgebracht haben. Außerdem ist zu konstatieren, dass die wissenschaftlich-technische Aufrüstung des Sports durch die daraus folgende Überforderung des Menschen aus dem Breitensport stammende Sportarten ins Abseits oder in Nischen manövrierte (etwa das Windsurfen).

Bestandteil und Folge der Revolution der Materialien waren ferner eine tief reichende Verwissenschaftlichung von Sportgerät und Sport, die massive Änderung der Trainingsmethoden unter Einbeziehung von Bewegungsmechanik, Physiologie und Psychologie, einschließlich der Pervertierung in der Nutzung medizinischen und pharmakologischen Wissens im Doping. Hierher gehört auch – wenngleich ethisch weniger angreifbar – das Training in extremen Klimata, zum Beispiel in Gestalt des Höhentrainings beim Rudern und als Vorbereitung beim Höhenbergsteigen. Außerdem werden durch die umfangreichen Maschinenparks der Krafträume unabhängig vom Wetter „natürliche“ Belastungen simuliert. Nachdem offensichtlich Sportgerät und Sportler massiv durch Wissenschaft und Technik geformt und verformt werden, ist es ebenso deutlich, dass die Technik im Sport zu wuchtigen Bauten, zu parkartigen Sportstätten mit hohem Landschaftsverbrauch und schließlich zu riesigen synthetischen Sportlandschaften geführt hat, – die zusammen mit zunehmenden Transportbedürfnissen markante ökologische Risiken nach sich ziehen.

Einzelne Themenbereiche könnten sein:

Geschichte der olympischen Spiele – Antike und Neuzeit

Wiederentdeckung des Leistungssports in der Neuzeit? Geräte und Mentalitäten.

Einführung von Hightech-Materialien in den Bau von Sportgeräten

Die ästhetische Wirkung neuer Materialien

Sport, Sportgerät und Kunst

Der Wandel von Sportarten durch neues Gerät

Sportanlagen und ihre Technik, etwa im Vergleich der Olympischen Spiele 1936 und 1972

Fußball: Massensport, Verkehrsinfrastruktur, Medienereignis und Wirtschaftsfaktor

Maschinisierung des Trainingsgerätes – zwischen Therapie und Fitnessstudio

Industrialisierung der Sportgeräteherstellung

Verwissenschaftlichung und Technisierung der Trainingsmethoden

Messung von Weg und Zeit im Sport

Die Rolle von Pharmazie und Medizin im Sport

Pervertierung der „heilenden“ Funktion von Pharmazie und Medizin im Doping

Mensch-Maschine-Schnittstellen in komplexen sporttechnischen Systemen (Segelyachten, Segelflugzeuge …)

Rolle der Verbände und der Sportwissenschaft für die Technisierung des Sports

Vorschläge für Referate werden bis zum 30. April 2009 an folgende Adresse erbeten:

Prof. Dr. Walter Kaiser, Lehrstuhl für Geschichte der Technik

RWTH Aachen, kaiser@histech.rwth-aachen.de

Programm des 3. AKWG-Tag der Wissenschaftsgeschichte [PDF]